Sonntag, 24. Februar 2008

eifersucht

mein grossvater war schon eine ganz besondere person. nicht nur, weil er meiner war. nein, er war auch sonst ganz kool. nicht so wie mein vater der murrte nur immer herum, weil ich keinen job hatte. dabei konnte ich doch nichts dafür. er selber hatte ja mit seinen alten dafür gesorgt, dass die industrie immer mehr scheissjobs anbot und es mir nicht mehr möglich war, wie er einen anstandigen beruf, wie er das nannte, zu lernen.
nein, mein grossvater war schwer in ordnung. er machte mir auch keine vorwürfe wegen des kiffens. er konnte verstehen, dass ich ab und zu träumen musste und keinen bock auf den krawattenstress der multis hatte. natürlich fand auch er nicht alles vollfett was ich so trieb, aber na ja…
die wirklich wichtigen dinge des lebens habe ich von ihm erfahren. erst durch ihn wurde mir klar, dass liebe und bumsen wohl zwei verschiedene dinge sind. und er hat mir sogar erzahlt, dass auch er in seinen jungen jahren so etliches geboten hat. er hat mir nie vorgespielt, dass meine grossmutter seine einzige frau war.
ausserdem konnte er wirklich spannend erzählen. er war der mann, was traumreisen ins weltall betraf. schon ganz klein fuhr ich mit ihm mit bis zum andromedanebel. und dann hatte er noch etwas ganz anderes drauf. er konnte jedes wort erklären. egal welches. dabei behauptete er aber immer, worte würden nie die wahrheit treffen, man könne höchstens der wahrheit ein stückchen wahrnehmung abringen.
immer wenn ich ihn bat, mir ein wort zu erklären, begann er es zu zerstückeln. er nahm es regelrecht auseinander, zog an den buchstaben und setzte es dann wieder anders zusammen. er verglich es mit ähnlichen wörtern und konnte so ganze geschichten aus einem wort erfinden…

eifersucht
“die eifrige sucht” begann er. eifrig süchtig sein… auf was? auf wen? auf einen mann? auf eine frau?”
“dann schon eher auf eine frau”, sagte ich.
“warum”, fragte er zurück?”
“weil ich nicht schwul bin”, antwortete ich.
“ha, und wenn du es wärest - denkst du es ist schlechter einen mann, als - eine frau zu lieben?”
“das schon nicht”, antwortete ich, ”aber die machen doch alle so komische dinge im versteckten” und dabei errötete ich ein ganz klein wenig.
“marc, ich spreche von liebe, und nicht von komischen spielchen, die jeder junge in der pubertät durchmacht. kannst du dir vorstellen, einen mann zu lieben?”
“einen mann? zu lieben? - ja kommt drauf an. ich finde zum beispiel meinen freund chris schwer in ordnung. aber trotzdem würde ich nie sex mit ihm wollen.”
“nie?”, fragte er und erwahnte schmunzelnd, dass auch dieses wort einer genaueren betrachtung bedürfte.
“na ja”, sagte ich, “ich hatte schon mal was mit ihm, aber das hat mir dann irgendwann nicht mehr so den kick gegeben, und dann liessen wir es eben.
“siehst du, jungenspiele - und nun schliesst du von dem auf liebe. kannst du dir nicht vorstellen, dass es männer gibt, die einfach auf männer abfahren?”
“ja schon, aber ist es denn nicht so, dass frau und mann zusammengehören wie… wie - na ja, die dinge passen doch einfach zueinander wie stecker und steckdose”, erwiderte ich.
“liebst du jede frau, marc?”, war seine antwort.
“nein, nein, um himmels willen”, sträubte ich mich.
“siehst du, das ist eben ein geheimnis des lebens, dass du die liebe nicht einfach so herbeizaubern kannst. und nun gibt es eben männer, die sich in einen mann verlieben und das ist auch in ordnung. schliesslich gäbe es sonst das gegenteil auch nicht”
“wie meinst du das, mit gegenteil?” hakte ich nach.
“na ja”, erwiderte er, “ein fluss hat immer zwei ufer. hätte er das nicht, so wäre es ein see oder das meer. und gäbe es die homosexuellen nicht, so gäbe es auch die heterosexuellen nicht, denn dann wäre nichts klar. aber kommen wir doch zurück zur eifersucht. verliert man nicht etwa die liebe zu etwas oder jemandem, wenn man so süchtig ist?”
“sucht - sucht. vater braucht jeden tag sein bier. dem sage ich sucht, hat er es nämlich einmal nicht, so wird er streitsüchtig. hm… schon wieder süchtig.”
“eben”, nickte er, “streit-sucht - eifer-sucht - sehn-sucht… aber überleg doch mal. mein sohn - also dein vater, braucht jeden tag sein bier. du sagst, er ist süchtig. und ist er einmal nicht süchtig auf ein bier dann eben auf streit - streitsüchtig. was sucht er denn eigentlich? doch wohl kaum streit?”
“du meinst, sucht hat mit suchen zu tun? fragte ich.
“natürlich. worte, die so nah beieinander liegen, haben immer etwas miteinander zu tun. das ist wie bei zwei menschen, die im gleichen bett liegen”, schmunzelte er. “also was sucht denn dein vater eigentlich?”
“keine ahnung”, erwiderte ich, “vielleicht will er einfach nur abschalten wie ich, wenn ich kiffe.”
“du kiffst also, weil du abschalten willst? w a r u m willst du denn abschalten”, fragte er ganz deutlich und langsam.
ich begriff, dass das wieder einmal eine vergangenheitsfrage war. er hatte mir namlich einmal ganz ausführlich über das wort warum erzählt. ‘warum’, sagte er damals, ‘ist eine der wichtigsten fragen, die man sich stellen kann. das wussten die indianer schon und haben sich viele warum-fragen beantwortet. wenn man eine antwort auf eine warum-frage hat, so hat man den grund für etwas gefunden. man hat sozusagen die vergangenheit noch einmal angeschaut und herausgefunden, was einem damals dazu gebracht hat, etwas zu tun. und wenn man erst einmal den grund für etwas gefunden hat, ist das ein erster schritt, dinge, die man nicht mehr tun will, sein zu lassen.’
“ w a r u m - ” erwiderte ich, “warum will ich abschalten? hm, ich habe einfach manchmal genug von diesem stress. kein job, alle rennen etwas hinterher und niemand ist für mich da. also will ich mal pause. time out vom leben sozusagen. abschalten, nichts tun, kiffen.”
“du bist auf dem besten weg, deinem vater in zwanzig jahren zu gleichen”, murmelte er, “und süchtig zu werden, statt herauszufinden, was du eigentlich suchst. jetzt denkst du noch, es sei einfach, wieder aufzuhören, aber sieh ehe du zweimal mit deinen schönen augen zwinkerst bist du älter und hast plötzlich vergessen, was du eigentlich suchtest. natürlich kannst du dich dann daran erinnern, dass du ja nur nach dem warum forschen musst, um wieder zurückzukommen zu deinen ursprünglichen ideen und träumen. nur sucht dann dein körper nicht mehr nach deinen wirklichen ideen, sondern dein körper sucht sich dann immer wieder die gleiche masche aus. verlangt nach bier, hasch, egal, einfach nach dem, an das er sich gewöhnt hat. jetzt kannst du dir zwar im kopf klarwerden, warum, aber es ist schwieriger - oder sagen wir dauert einen moment länger, bis das auch dein körper kapiert. kapiert?”
“glaub schon, zumindest will ich darüber nachdenken. pit”, fragte ich - und so nannte ich ihn immer, wenn ich vom thema ablenken wollte, “pit, sag mal, und wie ist es nun mit dem zweiten teil des wortes?”
“welches wortes” fragte er.
“na, des wortes eifersucht”, erwiderte ich.
“ach so… hm, warst du auch schon mal eifrig bei einer sache?” stellte er mir seine nächste frage.
“na klar, wenn ich zum beispiel e-maile. dann bin ich ganz und gar bei dem und bei nichts anderem”
“nun dann haben wir es ja” erklarte er triumphierend.
e i f e r s u c h t heisst also nichts anderes, als dass du nach etwas suchst und zwar bist du ganz bei dieser sache… ehhh suche. du suchst und suchst und suchst…”
“…und was finde ich dann?” fiel ich ihm ins wort.
“eben nichts”, antwortete er und man sah ihm an, dass er still in sich hineinschmunzelte.
“warum denn?”
“weil…”, murmelte er, “man nichts findet, solange man sucht und sucht und sucht. finden tut man es erst, wenn man nicht mehr sucht. manchmal geht mir das sogar mit den wörtern so, ich suche nach einem wort, suche und suche und wenn ich dann aufhöre zu suchen, fallt es mir plötzlich wie von selbst ein.”
“dann findet man also nichts, wenn man eifersüchtig ist?” fragte ich ganz langsam nach.
“jedenfalls keine frau. und auch keinen mann”, ergänzte er. nur etwas, etwas findet man schon…
”was denn”, fragte ich atemlos.
“das eifrige suchen”, lächelte er, “man findet immer mehr von der eifersucht, und sonst nichts.

©1000fuss 2003

Keine Kommentare: